08/15 statt 0341 – Krawall und Randale oder der Neubau eines Stadions
Nachfolgend soll ein hypothetisches Szenario für einen möglichen Stadionneubau gezeichnet werden. Dies geschieht in Form eines fiktiven Artikels einer regionalen Zeitung. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind rein zufällig.
Leipzig. Beginn der Saison 2020/21. Die neue Red Bull Arena wird eröffnet. Dieses Glanzstück der Architektur von Herzog & de Meuron und gmp-Architekten fügt sich ein in die Reihe wunderschöner Stadien auf der ganzen Welt. Von Peking über Manaus bis hin zur Allianz-Arena bekommt Leipzig endlich ein individuelles Stück Regionalität. Dabei konnten die Architekten auf ihre Erfahrungen beim Bau der Elbphilharmonie und des Flughafens Berlin Brandburg zurückgreifen.
Großes für Leipzig
Den Verantwortlichen des viermaligen deutschen Meisters aus Leipzig war dieser Bezug zur Region sehr wichtig. Erkennen kann man diesen Ansatz vor allem an der Verwendung regionaler Produkte wie Wellblech und Beton sowie der Nähe zum Ortsschild von Leipzig, welches in nur 2km Entfernung vom Stadion nun auch ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen darstellt. Auch auf eine direkte Anbindung der S-Bahn zum zentralen Einkaufszentrum im berühmten Leipziger Hauptbahnhof, der nun dauerhaft in rotes Licht getaucht am abendlichen Firmament erstrahlt, legte man sehr viel Wert.
Dem Bau des neuen Fußballtempels ging eine lange Zeit von unqualifizierten Protesten voraus. Begonnen haben diese noch mit der eher unverfänglichen aber dafür umso penetranteren Verwendung des Namens „Zentralstadion“ einiger ewig Gestrigen, die den neuen Namen “Red Bull Arena” nicht akzeptieren wollten. Da die Marketingabteilung allerdings zu der Auffassung gelang, dass das Bild eines Stadions, eingebettet in eine alte Bauruine aus den 50ern, aufgrund seiner antiquierter Infrastruktur einfach nicht mehr dem innovativen Bild einer aufstrebenden Sportmarke entspräche, musste diese einsame Gruppe verträumter Nostalgieromatiker letztlich doch das Nachsehen haben.
„Der gesamte Sektor B schien zu brennen“
Mit der Verkündung des Gewinnerentwurfs und des Zeitplans der Bauarbeiten radikalisierten sich nun auch die Proteste dieser so genannten „Fans“. Die zahlreichen Stimmungsboykotts und Mahnwachen konnten zwar anfangs noch als harmlos bezeichnet werden, doch nachdem auch eine an Heiko Rosenthal gerichtete Onlinepetition, in der eine salomonische Zwangsenteignung der ZSL gefordert wurde, die den Zank ums Zentralstadion beilegen sollte, keinerlei Resonanz auslösen konnte, fanden derartige friedliche Protestformen ihre Zäsur im Spiel gegen Ingolstadt. Anstatt die Mannschaft durch Schlachtrufe nach vorne zu peitschen, schien der gesamte Sektor B, illuminiert durch tausende Pyro- und Rauchfackeln, zu brennen.
Aufgrund der daraus resultierenden 1.312 bundesweiten Stadionverbote sollte der berühmt berüchtigte Sektor B, der bis dato als Epizentrum der Leipziger Stimmung galt, für volle zwei Jahre so gut wie leer sein. Menschen, denen der organisierte Support sowieso egal war, frohlockten über die dem Spiel angepassten Stimmung. Doch diese kollektive Gleichgültigkeit radikalisierte den Protest nur noch mehr.
Rasenballistischer Herbst
Während eines Mittwochtrainings tauchte der, sich um Rb verdient gemachte, Kapitän Dominik Kaiser plötzlich nicht mehr auf. Über den Verbleib des Mittefeldspielers herrschte nur kurz Verwunderung, denn einige Zeit später erschien ein Bekennerschreiben, in dem unter der Überschrift „Kommando Christian Reimann“ der Verbleib im Zentralstadion verlangt wurde. Unterschrieben war das Bekennerschreiben nur mit dem ominösen Kürzel „RAL“.
Der Verfassungsschutz tappte lange Zeit auf einer falschen Fährte, weil zunächst zwanghaft versucht wurde, dieses Kürzel irgendwie mit dem gleichnamige Farbsystem in Verbindung zu bringen. Erst nachdem den Ermittlern Zugriff auf die Datenbank gewährt wurde, die seit der Personalisierung der Auswährstickets nach dem Aufstieg in die 1. Bundesliga entstanden war, konnte das Fahndungsnetz um die Übeltäter enger gezogen werden. Dieses zuvor als rechtswidrig eingestufte Verhalten des Konzerns, dass zunächst noch auf heftige Kritik durch den BfDI stieß, konnte mit der zwei Wochen später im Eilverfahren novellierten Neufassung der Vorratsdatenspeicherung aber zum Glück dann auch mit rechtsstaatlichen Argumenten legitimiert werden. Alle tatverdächtigen Personen stammten demnach aus dem direkten Umfeld einer sich immer stärker radikalisierende Gruppierung, die bereits in der Vergangenheit vor allem durch geschmuggelte Spruchbänder und drogenverherrlichende Choreografien auf sich aufmerksam machte. Trotz dieses Fahndungserfolges konnten die Täter allerdings nie eindeutig dingfest gemacht werden.
Die Rache des Ex-Majors
Zum Schutz der übrigen Mannschaft stellte man deswegen jedem Spieler einen erfahrenen Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zur Seite. Durch lange Verhandlungen mit der DFL und dem DFB konnte sogar sichergestellt werden, dass diese auch während des Spiels den Spieler permanent zur Seite standen. Dies stellte vor allem bei schnellen Spielern eine eher sportliche denn eine technische Herausforderung dar. Zum neuen Chef der SoKo “REXit”, dessen Name sich aus der Verschmelzung von „Red Bull“ und „Exit“ ergibt, wurde kurzerhand der ehemalige Major der Volkspolizei Matthias Uwe ernannt, der damit seiner Pensionierung endgültig ein Schnippchen schlagen konnte. Doch die darauffolgende Ruhe sollte nur von kurzer Dauer sein.
So schmuggelten sich zum Saisonabschlussspiel gegen Hoffenheim tausende Stadionverbotler eingerollt in Fahnen ins Stadion. Die darauffolgende Pyroaktion stellte den launigen, spielabhängigen und fröhlichen Support, der die vergangenen Spiele geprägt hatte und der überwiegend aus einer Variation aus „Auf geht‘s Leipziger Jungs” und ”Auf geht‘s Rot-Weiß“ bestand, deutlich in den Schatten. Schlägereien auf den Tribünen und Spruchbänder, wie “M.U. – Halt den Mund, deine Pensionierung hatte einen Grund!”, waren das Ergebnis dieses unrühmlichen Spieltags.
Kommando „Wir sind Zorniger“
Besonders widerlich war jedoch die Präsentation der Geisel Dominik Kaiser im Zentralstadion-Kostüm. Er konnte unverletzt, etwas abgemagert und ein bisschen verwahrlost anzusehen, geborgen werden. Man konnte nur hoffen, dass mit dem Umzug ins neue Stadion alles besser werden und diese hässlichen Bilder der Vergangenheit angehören würden.
Doch da hatte man die Rechnung wohl ohne die zahlreichen jungen Stürmer und Dränger gemacht. So drangen vor der Vollendung des Neubaus bisher Unbekannte in den Komplex ein und randalierten ohne jeglichen Respekt vor fremden Eigentum in diesem frischen Tempel moderner Fußballkultur. Überwachungsaufnahmen konnten zeigen, dass ca. 51 Personen zum einen die frischen VIP-Lounges mit Bitumen unbrauchbar machten und zum anderen ein großes Bild des Zentralstadions auf die gesamten Ränge malten. Auch hier tauchte ein Bekennerschreiben auf, diesmal unter dem Kommando-Namen „Wir sind Zorniger“.
Trotz dieser Proteste konnte das neue Stadion fristgerecht fertiggestellt werden. Endlich konnten begeisterungsfähige Konsumenten des modernen Fußballs in ihrer eigens erworbenen VIP-Lounge das Spiel genießen und bei einem zarten Rinderfilet neue geschäftliche Horizonte erschließen. Die unliebsame und teure Fankurve wurde kurzerhand auf 23 Plätze beschränkt, was kaum ein Problem darstellte, weil launige Gassenhauer wie „Schalalalalala *klatsch* *klatsch* (3x) – Rasenballsport Leipzig“ nun per Knopfdruck von Tim Thoelke abgespielt werden konnten.
Ein gekaufter Frieden?
Seit einiger Zeit beruhigte sich auch die Situation mit den so genannten „Fans“. Die Rasenballisten konnten den Vereinsnamen „Rasenballsport Leipzig”, nach zähen Verhandlungen mit DFB/DFL und „Onkel Didi”, wie sie den Firmenpatriarch liebevoll nennen, für einen symbolischen Selbstkostenbeitrag von 25.000 Euro übernehmen. Vor allem durch die Übernahme des Sächsischen Fußballverbands hatte sich die Möglichkeit ergeben, dass der dreifache Gewinner der UEFA Champions League, nun endlich als Red Bull Leipzig firmieren konnte, der alte Name somit frei wurde.
Zusätzlich konnte mit der ZSL über einen Dauernutzungsvertrag des Zentralstadions verhandelt werden. Dass der neugegründete Rasenballsport Leipzig nun auch in der 3. Kreisklasse die alte Spielstätte weiter bewirtschaftet, dürfte vor allem Michael Kölmel in die Hände spielen, hatte dieser sich im Verhandlungspoker um das Zentralstadion mit Red Bull doch einst deutlich verzockt. Nun kann allerdings erneut auf sprudelnde Einnahmen gehofft werden. Dass das angestrebte Ziel “Liga 3 in 20 Jahren” allerdings wirklich umgesetzt werden kann, wird von Kennern der Szene nur müde belächelt. So ist doch im gesamten Bundesgebiet bekannt, dass die Gruppierungen um die Rasenballisten ihre Aktivitäten bezüglich der Ausbildung einer Fankultur und -struktur nur deswegen aufrecht erhalten konnten, weil sie regelmäßig mit Zuschüssen für Choreografien und Auswärtsfahrten vom Konzern aus Österreich subventioniert wurden.
Letztlich können also alle beteiligten “Player” zufrieden sein, denn nach einem Parkplatz muss nun endlich niemand mehr suchen.
Disclaimer: Dieser Text darf NICHT als Drohung und auf GAR KEINEN Fall als Anleitung für eine vereinspolitische Revolte verstanden werden, denn Politik hat im Stadion NICHTS zu suchen!